Es ist Ostersamstag, der 7. April 2001. Die Schweizer Strassen von Nord nach Süd sind an diesem regnerischen Tag verstopft. Gute sieben Stunden dauert die Fahrt einer Schar Zürcher Sportjournalisten im NZZ-Betriebswagen von der Falkenstrasse in die Resega. Beim Stadion findet das Reporter-Auto mit der ZH-Nummer ein verstecktes, sicheres Plätzchen. Das ist durchaus von Belang: Die Finalserie zwischen dem HC Lugano und den ZSC Lions wird nicht nur auf dem Eis ausgetragen. Die Nebengeräusche sind ebenso gross wie der Einsatz der Spieler auf dem Eis. Einfach ausgedrückt: HCL gegen ZSC ist in jener Zeit von einer Rivalität geprägt, in der auch Hooligans ihr Spielfeld finden.
Das siebte Duell zwischen Luganesi und Lions hält sportlich das, was das Eishockey so attraktiv macht: Es ist temporeich, taktisch interessant, spannend und meistens fair; und ausgetragen in einer lauten und elektrischen Atmosphäre, selbst wenn nur 30 Zürcher, darunter die ZSC-Ikone Ernst Meier, es schaffen, unerkannt ins Stadion zu gelangen. Die Gastgeber starten besser, Christian Dubé schiesst zur Freude des einheimischen Publikums das 1:0. In der Folge steigern sich die Gäste, derweil die Tessiner auf den Verwaltungsmodus schalten und auf Konter lauern. In der 49. Minute gleicht Löwenkönig Michel Zeiter nach dem magistralen Pass von Morgan Samuelsson im Powerplay aus. Zuvor hat die finnische Wand Ari Sulander zwei Chancen des HCL zunichte gemacht.
Der Trumpf Samuelsson sticht
In der Overtime kämpft die Truppe von Coach Jim Koleff mit dem letzten Atemzug, während das Löwenrudel von Larry Huras immer stärker wird und mehrere Matchpucks vergibt. Dann folgt die 11. Minute der Verlängerung, die in die Schweizer Sportgeschichte eingehen wird: Samuelsson schnappt sich im eigenen Drittel die Scheibe und trifft nach seinem Solo mit einem präzisen Schuss ins hohe Eck des gegnerischen Tores zum 2:1 für den ZSC. Claudio Micheli läuft zwar mit, aber «Samu» denkt sich: Selbst ist der Mann. «Schon als ich über die rote Linie fuhr, wusste ich, dass das Spiel gleich zu Ende gehen würde. Ich wusste, dass ich das weite Eck treffen würde», erklärt der Meisterschütze danach. Er fühlt sich trotzdem nicht als Matchwinner. «Alle haben für diesen Erfolg hart gearbeitet und gekämpft.»
Ausgerechnet Samuelsson, der von seinem Trainer wochenlang übergangen wurde, entscheidet die Finalissima im Sudden Death. 1:3 lagen die Zürcher in der Serie zurück, ehe Huras nicht zuletzt auf Druck von Sportchef Simon Schenk den cleveren und humorvollen Schweden anstelle des Kanadiers Pat Lebeau nominierte. Der personelle Wechsel haucht den Lions neues Leben ein, sie gleichen das Best-of-7-Duell aus. «Samu» entpuppt sich als ideale Ergänzung zu Center Zeiter und Captain Micheli. Gegen diese Linie findet Lugano kein wirksames Rezept.
«Als der Mob wütete»
Unmittelbar nach Samuelssons Schuss ins Zürcher Glück kommt es zu Szenen, die in den Medien als «Schande von Lugano» beschrieben werden. Ein Teil der HCL-Fans wandelt die sportliche Enttäuschung in Randale um. Es fliegen Regenschirme, Leuchtraketen, Knallpetarden und anderes in Richtung Zürcher Spielerbank. Rauflustige Individuen stürmen aufs Eis, während die frischgebackenen Meister in die Kabine flüchten. An eine würdevolle Pokalübergabe ist nicht zu denken. Immerhin kann der aggressive Teil der Tifosi von den Sicherheitskräften gehindert werden, in die Gäste-Garderobe einzudringen. «Als der Mob wütete» titelt die «SonntagsZeitung» nach den Ausschreitungen. Fabio Gaggini, Ex-Stürmer und Präsident des HCL, sagt: «Das hat mit Sport nichts zu tun.» Versöhnliche Worte stammen aus dem Mund von Star Dubé: «Der ZSC ist ein Team mit Verstand, Herz und Charakter. Die Lions sind ein würdiger Meister.»
Grosser Empfang in Oerlikon
Im Hallenstadion fiebern mittels grosser Leinwand fast 10’000 Fans mit, sie bereiten dem Titelverteidiger nach der Rückkehr aus der Resega einen triumphalen Empfang. Auch das NZZ-Automobil samt Insassen hat den Trip heil überstanden. Die Krawallnacht hat auch ihr Gutes: Punkto Sicherheit werden dringend notwendige Massnahmen im Schweizer Eishockey beschlossen. 17 Jahre später geht die Finalissima zwischen Lugano und Zürich im Südtessin ohne unrühmliche Vorkommnisse über die Bühne.
Der Sport schreibt wunderbare, aber auch traurige Geschichten. Damalige Schlüsselfiguren wie Jim Koleff, Simon Schenk, Peter Jaks und Morgan Samuelsson weilen nicht mehr unter uns. Im Falle von «Samu» wird sein Meisterschuss 2001 für immer unvergesslich bleiben.




















