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Die coolste Girlgroup

Die coolste Girlgroup

Eine Klasse für sich: Die Lions Girls sind das einzige reine Mädchen-Team im Schweizer Eishockey und damit ein Schlüsselfaktor in der nationalen Talentausbildung. Das weckt Interesse bis in den wilden Osten Europas.

Fröhliches Lachen, gespannte Hektik, ein sympathisches Durcheinander. Und die Trainerin, die zu Ordnung mahnt: «Bitte setzt euch für das Gruppenfoto auf die Treppe.» Im Foyer der Eishalle Heuried ist für die jungen Eishockey-Spielerinnen der Lions Girls an diesem Montag der grosse Fototermin angesagt – für die Website und die Vereinspublikationen.

 

Eine nach der anderen der coolen Girlgroup tritt vor die Kamera und steht zum ersten Mal in ihrem Leben im Scheinwerferlicht, aber vielleicht nicht zum letzten Mal. Denn im einzigen reinen Mädchen-Eishockey-Team auf Juniorinnenstufe in der Aktivliga werden die grössten Nachwuchshoffnungen vereint: «Mein Traum ist es, irgendwann einmal im Nationalteam zu spielen», sagt die 14-jährige Sonja Inkamp. Die Verteidigerin der GCK Lions ist Teil eines Projekts, das weit über die Zürcher Grenzen für Aufsehen sorgt – wie weit, wird an diesem Abend ersichtlich. Zusammen mit ihrem Vater ist die 15-jährige Patrizia Wojcik für ein Probetraining angereist. Sie steht mit grosser Tasche und zwei Stöcken vor der Eingangstür und erkundigt sich, wo sie sich umziehen kann. Das wäre nicht weiter bemerkenswert. Doch Wojcik stammt aus der polnischen Stadt Bytom – in der Nähe der Grenze zu Tschechien. Nach Zürich beträgt die Distanz über 1 100 Kilometer, die Fahrzeit rund 12 Stunden. Für Wojcik nicht zu lange, um sich bei den Lions Girls zu bewerben. Ihr Vater erklärt auf Englisch: «Die Möglichkeit, in einem reinen Mädchenteam zu spielen, ist in Europa sehr selten. Und der gute Ruf der Lions-Organisation hat sich bis zu uns herumgesprochen.» André Weber, Teamleiter der Lions Girls, reagiert nicht weiter überrascht auf das internationale Interesse: «Wir erhalten regelmässig Anfragen von ausländischen Spielerinnen. Doch bei Weitem nicht allen können wir zusagen.»

 

Auch Patrizia muss sich an diesem Abend erst beweisen. Sie wirft ihrem Vater nochmals einen scheuen Blick zu – und verschwindet dann in der Garderobe. Derweil tritt ein Mädchen nach dem anderen vor die Fotokameras – beispielsweise Katherine Schlosser, Stürmerin mit Jahrgang 2006. Sie spielt normalerweise bei den Junioren des EHC Thalwil und wird von ihrer Mutter Maureen begleitet. Maureen stammt aus dem amerikanischen Bundesstaat Wisconsin und jagte in ihrer Kindheit selbst mit grosser Leidenschaft dem Puck hinterher. Doch in ein Team schaffte sie es nicht: «Bei uns war Eishockey ein reiner Bubensport. Mädchen mussten zum Eiskunstlaufen. Aber das hat mich nicht interessiert.» Umso glücklicher ist sie nun, dass ihre Tochter in ihrem Lieblingssport eine Chance erhält – und dass sie in einem reinen Mädchenteam spielen darf. Weshalb diese Möglichkeit für die talentierten Spielerinnen eminent wichtig ist, erklärt sie vor allem mit psychologischen Gründen: «Das Niveau bei den Buben kann höher sein und die Mädchen im positiven Sinne fordern. Aber in unserem Sport ist auch das Selbstvertrauen eine entscheidende Qualität. Und das wächst viel stärker, wenn sich die Juniorinnen in einem weiblichen Umfeld bewegen.» Trainerin Alea Erb ergänzt: «Bei uns müssen die Spielerinnen mehr Verantwortung übernehmen, als wenn sie bei den Junioren spielen – und sie können sich nicht verstecken.»

 

Die Lions Girls gibt es seit 2018; sie setzen sich mehrheitlich aus Spielerinnen (mit Jahrgängen 2010 bis 2005) der Lions-Organisation (ZSC/GCK, Dübendorf Urdorf) sowie der Partnerteams Argovia Stars, EHC Thalwil und EVZ Zug zusammen – wobei «Girls» (Mädchen) nur auf die Mitglieder der eigenen Equipe zutrifft. In der Meisterschaft messen sich die «Löwinnen» mit gestanden Frauen – in der vierthöchsten Liga. Und das nicht ohne Erfolg: «Wir wollen aufsteigen», sagt Noluthando Link voller Selbstbewusstsein. Noluthando ist in zweierlei Hinsicht eine Ausnahmeerscheinung. Mit elf Jahren ist sie die Jüngste im Kreis der Lions Girls – und als Spielerin des EHC Burgdorf hat sie die weiteste Anfahrt. Der Aufwand lohne sich aber auf jeden Fall: «Hier erhalten wir die bestmögliche Ausbildung, die das Frauen-Eishockey in der Schweiz zu bieten hat.» Und dennoch spürt auch die filigrane Stürmerin, dass das Mädchen-Eishockey in Zürich nicht über das grösste Sozialprestige verfügt. Normalerweise finden die Trainings erst um 20.45 Uhr statt. Für Spielerinnen von ausserhalb bedeutet dies, dass sie kaum vor Mitternacht ins Bett kommen. Teamleiter Weber bezeichnet das als «unbefriedigenden Zustand». Für so junge Mädchen sollte das nicht der Fall sein. Auch anlässlich der Heimspiele ist Improvisationskunst gefragt. Aufgrund der begrenzten Kapazität von Eisflächen finden die Partien der Lions Girls über die ganze Region verteilt statt: in Bäretswil, Thalwil, Urdorf, Wallisellen, Zug – und auf dem Wiediker Heuried, wo heute eissportliche Träume entstehen. So auch beim Gast Patrizia Wojcik aus Polen. Die Verteidigerin überzeugt in jeder Beziehung. Wohin ihre Reise geht, bleibt abzuwarten. Aber es ist durchaus möglich, dass an diesem Montagabend in Zürich Wiedikon ein polnisches Wintermärchen begonnen hat.

 

 

Interview mit André Weber

«80 Prozent werden es in die Nationalliga B schaffen»

 

André Weber, wie sind Sie zum Frauen-Eishockey gekommen?

Über meine heutige Ehefrau Angelika im Jahr 1986. Heute leiten wir zusammen die Frauenabteilung der ZSC Lions – wobei die Rollen klar verteilt sind: Angelika ist der Boss – und zuständig für die Teams in den beiden höchsten Ligen. Und ich kümmere mich als Teamleiter um die Juniorinnen sowie um die Partnerteams. Ausserdem bin ich für die Auslandsaktivitäten verantwortlich. Man könnte mich auch als Aussenminister der Lions-Frauen bezeichnen (lacht).

 

Wer sind die Lions-Frauen?

Das sind vier Teams: Die ZSC Lions spielen in der Women’s League, der höchsten Liga, die GCK Lions in der zweithöchsten. Dazu kommt der EHC Wallisellen in der dritthöchsten Liga. Das ist eher eine Seniorinnen-Equipe. Und natürlich die Lions Girls in der Gruppe 1 der SWHL D. Wir operieren mit einem Jahresbudget von 160 000 Franken.

 

Weshalb soll ein Mädchen Eishockey spielen?

Weil dieser Sport grossen Spass macht und der Teamgedanke im Vordergrund steht. Wir haben immer wieder Schwestern von Buben, die Eishockey spielen – und sich für unseren Sport interessieren. Die empfangen wir mit offenen Armen und fördern sie im Rahmen unserer Möglichkeiten. Bei den Lions Girls spielen vornehmlich Mädchen, die schon im Lions-Nachwuchs oder einem der Partnerklubs engagiert sind.

 

Was sind die grössten Unterschiede zwischen Frauen- und Männer-Eishockey?

Im Frauen-Eishockey sind Bodychecks nicht erlaubt. Deshalb können die Gegnerinnen nicht abgeblockt werden – sondern müssen quasi abgelaufen werden. Das erhöht den Spielfluss und in gewissem Sinne auch die Attraktivität des Spiels. Denn die Spielzüge können nicht durch physische Kraft unterbrochen werden. Frauen-Eishockey ist eine eigenständige Sportart, in der man andere Strategien und Taktiken entwickelt als bei den Männern.

 

Wie ist der Zulauf im Frauen-Eishockey?

In der Schweiz hatten wir in den vergangenen drei Jahren jeweils eine Zunahme von 100 lizenzierten Spielerinnen pro Jahr. Gesamthaft sind wir mittlerweile bei 1 800 Spielerinnen – Frauen, Mädchen, Seniorinnen.

 

Welche Rolle spielen die Lions Girls innerhalb der Organisation konkret?

Sie sind quasi der Unterbau unserer B-Equipe. Und man darf davon ausgehen, dass rund 80 Prozent der Spielerinnen den Weg in eine der beiden obersten Ligen schaffen werden. Auch in die nationalen Auswahlen stellen wir mehrere Spielerinnen. Zurzeit sind es rund sechs Spielerinnen pro Team (A-Nati, U18, U16).

 

Zürisport, Dezember 2021, Autor: Thomas Renggli

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